Das erste Opfer im Krieg ist die Wahrheit! Dieser alte Spruch hat auch heute noch Gültigkeit. Und der Autor hat dies durch eine nicht wertende Gegenüberstellung einiger gekürzter Reden des damaligen US Präsidenten George W. Bush (der den Befehl zum Angriff auf den Irak im Jahr 2003 gab) zu den Sckicksalen zweier junger Menschen (beide Opfer dieses Krieges ohne UN Mandat) zum Ausdruck gebracht. Feinfühlig, ohne jegliche Moralisierung entzaubert er die beschönigenden Worte des US Präsidenten durch die Kriegsrealität und stellt die Ereignisse um diese beiden Opfer dieses Krieges - Andy & Marwa - den wohltönenden Reden des amerika-nischen Präsidenten gegenüber. Der Kontrast könnte kaum schärfer sein. Der Leser bildet sich sein eigenes Urteil. Als Begründung für diesen Angriffskrieg wurde behauptet, dass der damalige irakische Diktator Saddam Hussein mit geheimen unterirdischen Massenvernich-tungswaffen die Welt bedrohe. Diese Behauptungen stellten sich später als falsch heraus!
Wie ich auf das Buch von Jürgen Todenhöfer aufmerksam wurde
Der Autor Jürgen Todenhöfer ist ehem. Bundestagsabgeordneter und so wurde ich bereits in den 80er Jahren auf ihn aufmerksam. Damals trat dieser Politiker in meinen Augen ganz anders auf als heute und ich war nach meiner Erinnerung so gut wie nie seiner Meinung, wenn ich sie denn mal öffentlich wahrnahm. Auch hatte ich keinerlei Bezug zur Partei von Todenhöfer. Und so rieb ich mir fast schon die Augen als ich in den 2000er Jahren über öffentliche Äußerungen Todenhöfers stolperte, die ihm in einem ganz anderen Licht zeigten. Er wirkte viel milder als in früheren Jahren, stellte herrschende Narrative in Frage und zeigte sich als kritischer Geist, der insbesondere den Afghanistan- und Irakkrieg (ab 2001/2003) in Frage stellte und auf seine Verwerfungen und die vielen zivilen Opfer hinwies.
Als ich in späteren Artikeln erfuhr, dass Todenhöfer zahlreiche islamische, vom Krieg betroffene Länder und später auch eroberte Gebiete der Terrororganisation Islamischer Staat bereiste (mit einer Art Schutzbrief zur Absicherung), um darüber unabhängig zu berichten, wurde ich neugierig und begann über seine Buchinhalte (z.B. "Du sollst nicht töten. Mein Traum vom Frieden") zu lesen.
Der Autor hat sich mit seinen Reisen und Berichten darüber reichlich Aufmerksamkeit, viel Anerkennung, aber auch etliche Kritik eingehandelt. Die Kritik an Todenhöfer möchte ich hier nicht weiter behandeln oder gar bewerten, zumal sie sehr subjektiv erscheint und Kritik an Kriegshandlungen / Machtstrukturen zwangsweise zu Kontroversen führt. Stellvertretend sei hier nur aufgeführt, dass es eine gerichtliche Auseinandersetzung zwischen dem Autor und dem Magazin "Spiegel" gab (wegen eines Spiegel Artikels unter dem Titel "Der Märchenonkel", den Todenhöfer als "Schmähartikel" empfand) und der laut Wikipedia mit einem Vergleich endete, in dem der Spiegel ""strafbewährte Unterlassungserklärungen" abgab, die ihn verpflichteten, die Wiederholung aller 14 von Todenhöfer beanstandeten Stellen zu unterlassen. Das Nachrichtenmagazin entfernte daraufhin auch den entsprechenden Beitrag aus seinem Internetauftritt." (Zitat Wikipedia)
Das Eintreten Todenhöfers für eine Sicht aus der Perspektive der Einwohner der bereisten und vom Krieg betroffenen Länder erscheint mir jedenfalls sehr glaubwürdig, ebenso seine großes Engagement für Frieden und gegen kriegerische Gewalt. Dem Buchvorspann des Goldmann Verlages ist ferner zu entnehmen, dass Jürgen Todenhöfer mit den Honoraren seiner Bücher ein Heim für kriegsversehrte Kinder in Kabul sowie ein Ausbildungszentrum für Straßenkinder in Bagdad finanziert.
Andy und Marwa - zwei Kinder und der Krieg (Buchinhalt)
Das Buch "Andy und Marwa - zwei Kinder und der Krieg" (so der komplette Buchtitel) beginnt mit einer Widmung, die ich hier gerne zitiere:
"Gewidmet den Opfern des Irakkriegs, gleich welcher Nation und Religion, sowie meinen Kindern Nathalie, Frédéric und Valérie, die mich auf meinen Reisen nach Bagdad, Kabul und Tampa begleitet haben."
Der Autor steht in engem Kontakt mit dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen UNICEF und erfuhr dort vom Schicksal des 12-jährigen irakischen Mädchens "Marwa", dass bei einer Bombardierung in einem Armenviertel von Bagdad nicht nur die jüngere Schwester Azra, sondern auch ein Bein verlor. Parallel dazu erfährt er vom Schicksal des jungen amerikanischen Marine-Soldaten "Andy", der erst 18-jährig als unerfahrener Reservist an die Front geschickt wird. Andy stirbt durch Granatenbeschuss am selben Tag an dem Marwa ihr Bein und ihre Schwester verliert. So sind beide Schicksale von zwei jungen Opfern sich bekämpfender Nationen miteinander verknüpft.
Todenhöfer nimmt Anteil an diesem menschlichen Leid auf beiden Seiten und sucht den Kontakt zu den Familienangehörigen. Behutsam sucht er die Annäherung an die Familien der Opfer, um mehr über das Leben dieser beiden Kinder in Erfahrung zu bringen. Er bemüht sich das Leben seiner Protagonisten anhand von vielen Interviews mit Familienangehörigen nachzuzeichnen, deren Schicksalsschläge zu beschreiben und deren zerstörtes Leben in einen geopolitischen Kontext bezüglich der Folgen von 9/11 (als von Terroristen entführte Passagierflugzeuge in die Twin Tower des World Trade Centers in New York City flogen und diese zum Einsturz brachten) einzuordnen. Diese Einordnung erfolgt vollkommen unprätentiös, im Ton nicht anklagend, sondern sehr ruhig und sachlich. Die erschreckende und grausame Kriegsrealität auf beiden Seiten stellt er ganz nüchtern den (gekürzten) Reden des amerikanischen Präsidenten George W. Bush zum Kriegseinsatz gegenüber.
Wenn man den Worten von Präsident Bush lauscht, so handelt es sich bei diesem Krieg quasi um eine humanitäre Hilfsaktion zur Befreiung des irakische Volkes. Die Realität vor Ort hingegen sieht anders aus: So sehr viele Menschen im Irak damals den Diktator gerne abschütteln würden... mit Bomben auf die eigenen Häuser hatten sie es sich nicht vorgestellt.
Auch der amerikanische junge Soldat Andy ist nicht ganz freiwillig in den Krieg gezogen. Eines Tages bekam der fröhliche, begabte und beliebte Schüler eine Werbebeilage der US Marines in die Hände. Dort stand, dass jeder der eine Informationsbroschüre dieser militärischen Eliteeinheit anfordert, kostenlos ein paar Handschuhe zum Gewichtheben bekommen würde. Andy interessierte sich mehr für die Sporthandschuhe als für die Marines. Und so kam es, dass er sich eine Tages unversehens zur Grundausbildung bei den Marines wiederfand. Es sei ja nur für kurze Zeit sagte er sich und überhaupt sei er ja nur in der Reserve. Dies dachten sich auch Andys Eltern, die nur widerwillig dem Ansinnen des Sohnes den Marines beizutreten zustimmten.
Nach den Terror-Anschägen vom 11. September 2001 und der sich anschließenden Kriegsrhetorik änderte sich jedoch die Lage und es hieß man könne nicht ausschließen, dass auch junge Reservisten in einen künftigen Krieg geschickt würden. Und so erhielt Andy seinen Einsatzbefehl kurz nach der Grundausbildung, noch bevor er erst 18-jährig sein Studium antreten konnte. Auch die Hoffnung der liebevollen Eltern, dass man junge Reservisten nicht gleich an die Front schicken würde, zerschlugen sich.
Der Autor wechselt im Buch mehrmals die Perspektiven seiner Protagonisten. Anders als Andy, der ja verstarb, lernte er Marwa persönlich kennen: Er organsisierte einen Klinikaufenthalt für das kriegsverletzte Mädchen in München und besuchte sie und ihre Familie im kriegsgebeutelten Irak. Zu beiden Opfer-Familien hat er ein herzliches Verhältnis aufgebaut. Eher beiläufig erfährt der Leser, dass Todenhöfer sich bereit erklärte dem traumatisierten und aus einer armen Familie stammenden Mädchen eine Ausbildung zu finanzieren. Marwa soll sich ihren Traum Ärztin zu werden erfüllen können.
Im steten Wechsel berichtet er von seinen Besuchen bei den Familien, von den Gefahren die im Irak immer noch lauern und der schweren Last die über den schwer traumatisierten Familien hängt.
Mein Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das einen konsequent humanistischen Ansatz verfolgt und die Realität und Grausamkeit von Kriegen den sich selbst berauschenden Reden und Beschönigungen eines Politikers gegenüber stellt.
Auf dem Backcover dieses Buches, das - Ironie des Schicksals! (siehe Gerichtsverfahren des Autors gegen den Spiegel) - auf der Spiegel Bestseller Liste gelandet ist, findet sich folgende
Stellungnahme von Johannes B. Kerner zum Buch: "Der ganze Irrsinn des Krieges lässt sich an zwei solchen Geschichten festmachen. Die einzig wahre Geschichte dieses Krieges ist die Geschichte der
Opfer."
Dem ist nichts hinzuzufügen, außer dass ich allen Interessierten - vor allem den jüngeren Lesern meines Blogs! - ans Herz lege sich mal mit dem Thema Kriegspropaganda (die es überall gibt wo Kriege geführt werden) zu beschäftigen und sich dazu einen Beitrag zur so genannten "Brutkastenlüge" (den ersten Irakkrieg 1991 betreffend) auf Wikipedia durchzulesen. (Meinen Erfahrungen nach sind nicht alle Wikipedia Beiträge fehlerfrei, aber dieser Beitrag deckt sich mit all meinen sonstigen Recherchen zum Thema, weshalb ich ihn uneingeschränkt empfehle.)
Nachtrag
Nachtrag 1:
Mancher Leser mag sich die Frage stellen was so ein Thema auf einem Musiker-Blog zu suchen hat?
Die Antwort ist recht banal: Mal abgesehen davon, dass ich hier auch Inhalte beschreibe, die mich als Mensch und Künstler beschäftigen und Kriege ja immer Auswirkungen auf einen Großteil der Menschen weltweit haben (also auch bei uns, weil durch die Kriege Lieferketten gestört werden, Preise steigen, noch mehr Kriegsflüchtlinge ins Land kommen etc.) , liefert mir die Auseinandersetzung mit diesen Inhalten automatisch immer wieder "Stoff" für neue Songinhalte bzw. Songtexte! :-)
Mir geht es dabei grundsätzlich darum mich nicht vereinnahmen zu lassen und einen möglichst differenzierten Blick beizubehalten.
Dies ist nicht immer einfach, denn gerade bei Kriegsgeschehen gibt es kaum noch "neutrale" Informationen. Und Reporter, die bei der einen oder anderen Kriegspartei als "embedded journalists" mitmarschieren, sind eben befangen und werden beeinflusst.
Alle Kriege beginnen mit Feindbildern
Da sich Konflikte meist lange vorher abzeichnen und sich oft über Monate und Jahre hochschaukeln, ist es mir als Künstler wichtig ein Zeichen gegen "Feindbilder" zu setzen. Denn dem Hochschaukeln laufen meist mediale, oft gezielt inszenierte Feindbilder voraus. (So war es z.B. Im Vietnamkrieg, im Ruanda-Bürgerkrieg, im Irakkrieg usw. und so wederholt es sich seit Jahrhunderten in der Geschichte...) Der vermeintliche "Feind" wird so entmenschlicht. Das ist in der Regel meist eine Vorstufe vor einem Krieg. In der "Logik" von Kriegspropagandisten dürfen diese "Feinde" dann bekämpft werden. Und zivile Opfer sind die unvermeidlichen "Kollateralschäden". (Ähnliches ist in meinen Augen leider auch immer mehr im politischen Diskurs zu beobachten, bei dem - gegenüber früheren Jahrzehnten - die Andersdenkenden zunehmend weniger als "politische Gegner", denn immer häufiger als "Feinde" ausgemacht werden, was unvermeidlich zu immer weiterer gesellschaftlicher Spaltung führt. In den USA können wir diese Entwicklung schon seit Jahren beobachten. Gerade wir Musiker sollten uns daran nicht beteiligen, denn ein Mensch bleibt ein Mensch, auch wenn er eine andere Meinung oder vollkommen konträre Ansichten hat als man selbst.)
So habe ich vor Kurzem den Song "We Don't Need No Enemies" geschrieben, der voraussichtlich demnächst als HeYoMa Single veröffentlicht werden wird. (Eine weitere Version mit der Berliner Sängerin Selin Akbaba ist ebenfalls geplant.) Für mein Soloprojekt schrieb ich den ebenso noch unveröffentlichten Song "Imagine You Were A Refugee", der ganz schlicht den Hörer zu einem Perspektivwechsel aufruft, wenigstens mal für die paar Minuten eines Rocksongs.
Da all diese Themen kontrovers diskutiert werden und mir die sachliche Auseinandersetzung (statt Verurteilung, Vorurteilen und Feindbildern) am Herzen liegt, sowie der respektvolle Umgang miteinander und gerade mit den Menschen, die eine andere Meinung haben als man selbst, schrieb ich 2020 den Song "Respect, Don't Panic!" (Spotify Link HIER), der im Jahr 2021 mit dem Deutschen Rock & Pop Preis in der Kategorie "bester Song des Jahres (englischsprachig)" ausgezeichnet wurde.
(Siehe auch Unterseite über meine Referenzen)